Montag, September 03, 2007

Lebens-Mittel

Im Hauseingang sitzt eine abgerissene, junge Frau auf der Steinstufe, speckig- dunkele Hose und Hemd. Ihre helle Haut schimmert zwischen den Rissen durch. Wie ein absichtlich in Fetzen gehülles Kleinod. Sie blickt aufmerksam auf den weißen Becher in der linken Hand. Mit dem rechten Zeigefinger holt sie bedächtig grünliche Pampe aus dem Becher und steckt ihn in den Mund.
Sie ißt, ihre ganze Konzentration ist auf den einen, wichtigen Moment ausgerichtet: den beschmierten Zeigefinger in den Mund führen und ablecken, nur nichts daneben tropfen lassen.
Nichts und niemand kann sie in diesem Augenblick ablenken; würde sie zusammengeschlagen, vergewaltigt, erschossen oder verhaftet, sie würde sich nicht wehren.
Nur dieser Finger ist wichtig und das der Brei vollständig den Mund erreicht.
Das Kind an der Straßenecke gegenüber schmatzt an einem Eis herum, als es den Kopf seitlich neigt, um die Waffelseiten abzulecken, klatscht die Eiskugel auf das Pflaster. Der Junge starrt auf seinen matschigen, verlorenen Genuß, seine Fassungslosigkeit dauert Sekunden.
Dann sucht er Publikum, für das es sich lohnt, zu lamentieren.
Die junge Frau lehnt an der bröckligen Hauswand. Sie hat die Augen geschlossen und scheint zu schlafen.
Der Junge blickt sie lange an. Sieht die Zufriedenheit in ihrem Gesicht und den leeren Pappbecher neben den zerlöcherten Turnschuhen.
Die Obdachlose spürt sein Starren. Öffnet kurz die Augen und lächelt.
Das Kind weiß nicht, wie es reagieren soll. Seine Augen suchen Halt, nach einem Hinweis, der erklärt: warum lacht diese zerlumpte Hexe? .
Es findet nichts, dreht sich verwirrt zur Seite -Eis und Protest sind vergessen- und stolpert schließlich die Straße hinunter. Als er sich noch einmal umdreht, ist der Hauseingang leer, nur die dunkelbraune, abgeblätterte Farbe der alten Haustür erinnert an sein Schokoladeneis...