Sonntag, Oktober 22, 2006

Endlich!

Darauf haben wir alle lange gewartet. Endlich fasst sich ein Discounter ein Herz und bietet es, pünktich vor Totensonntag, an.
Die erste vollautomatische Grableuchte für einen Spottpreis. Solarbetrieben, mit Leuchtmittel, aus unzerstörbarem Plastik und diebstahlsicher.
So wird das Gedenken eingefroren, ist zu einer Maschine verkommen, selber tot. Automatische Totenehrung: die Anteilnahme kann für andere Anlässe gespart werden.
So sollte man der verstorbenen Trauerfähigkeit ein Grablicht spendieren-
mit einer echten Kerze.

Montag, Oktober 09, 2006

Schwarze Vögel

Mal wieder können wir die Metamorphose der ostdeutschen Küste studieren. In Zingst dem Hauptstädtchen der Ostseehalbinsel Dars wird eifrig Geld verdient. Gut, das wird überall getan, aber Methoden und Dimensionen unterscheiden sich beträchtlich. Vor allem fragen wir uns wieder einmal, warum die blose Existenz der Ostsee aus braven Eingeborenen unverschämte Gierhälse macht? Vielleicht verführen sturmumtobte Küsten, also gewissermaßen die Existenz der Urgewalten vor der Haustür, zum Hervorbrechen versteckter Extreme des menschlichen Charakters, wie der schamlosen Raffsucht oder der Neigung zu extremen Ansichten.
Wie dem auch sei, jedenfalls toben an den ostdeutschen Küsten die Despoten des Geldes und der Macht. "Waffel-Maik" ist da nur ein kleines Licht im bunten Reigen fliegender Hochpreisakrobaten. Er brät und verkauft seine Eierkuchen von einer rustikalen Holzkarre aus. Man wartet in der Schlange und hat Zeit, das Ambiente genauer zu betrachten. Die großen, hölzernen Speichenräder seiner Karre hört man förmlich über die alten Katzenköpfe poltern und knarren. Aber Katzenkopfpflaster gibt es nur noch selten und die großen Räder sind am Wagen festgeschraubt, die können sich nicht drehen.
An den Unterseiten der Räderfelgen ist eine zusätzliche Achse befestigt. Die zwei flinken Ballonreifen daran, lassen Waffelmaik jeden Morgen geschwind über den Zingster Asphalt auf seine Abzockposition flitzen. Und dann werden die "Touris" gemolken. Aber auch die Betreiber des Parkplatzes an der Düne 6 haben einen an der Waffel. Fünfzehn Euro werden für eine einfache Übernachtung, im eigenen Auto, neben der Straße verlangt. Da fliehen wir weiter an den Ostzipfel der Insel, nach Pramort, einem ehemaligen Schießplatz. Dort zogen vor dreißig Jahren russische Militärlaster fünf Tonnen schwere Fla-Kanonen durch den Küstenschlamm. Außerdem flogen Handgranaten, 100mm- Geschosse, und Kalaschnikow- Salven über die Ebene und oft ins Meer. Am ehemaligen Kontrollpunkt, am Eingang des Gebietes, steht nun eine Tafel mit Drohungen. Das Gebiet gehört inzwischen militanten Naturschützern, und die bestimmen die Regeln. Erst einmal ist Eintritt zu zahlen, dann wird eine Kleiderordnung verfügt: unauffällg und dezent solle der Besucher daherkommen, unnötige Bewegungen vermeiden, Lärm sowieso. Schließlich habe jedermann um drei Uhr Nachmittags aus dem Gebiet verschwunden zu sein.
Denn hier flögen misantrophische Kraniche herum und die können das alles gar nicht leiden.
Ich denke an alte Zeiten: der Ostkranich saß auf der Panzeratrappe bis die Granate nebenan einschlug. Vorbei, nun haben die Westkraniche das Sagen und die fliehen panisch bis Afrika, wenn ein Wandersmann furzt.
Auf dem Radweg, der längs der Küste von Ost nach West führt, fahren kleine, behelmte Knder herum. Mit ihren überdimensionalen Köpfen sehen sie wie Playmobilfiguren aus und scheinen jeden Augenblick umzukippen. Eine Barbiepuppe wankt an Kohlefaserstöcken gen Osten. Zwei Nonnen: schwarze Kutten, weiße Hauben. Sie bewegen sich langsam, schweben fast -wie die ewig hungrigen Ostseemöven- über die Insel.